Aberrierende Arteria subclavia: Ätiologie, Pathogenese, Klassifikation, Diagnostik, Therapie
Als aberrierende rechte Arteria subclavia (ARSA) bezeichnet man die häufigste Anomalie des Aortenbogens, die bei etwa 0,5–2 % der Bevölkerung auftritt. In den meisten Fällen von Aortenbogenanomalien spricht man von der aberrierenden rechten Arteria subclavia (Arteria lusoria). Diese Fehlbildung kann in jedem Alter diagnostiziert werden, häufiger jedoch im Kindesalter bei Vorliegen von Symptomen oder als Zufallsbefund bei Erwachsenen im Rahmen von bildgebenden Verfahren.
Ätiologie
Die ARSA ist die Folge einer embryonalen Entwicklungsanomalie des 4. und 7. interaortalen Bogens. Die Hauptursache ist die Erhaltung des rechten 7. interaortalen Bogens mit Rückbildung des rechten 4. Bogens, was dazu führt, dass die rechte Arteria subclavia aus dem distalen Abschnitt der Aorta entspringt, meist nach der linken Arteria subclavia, und hinter der Speiseröhre verläuft.
Risikofaktoren:
- genetische Anomalien (z. B. 22q11.2-Deletion)
- Syndrome mit Störungen der Gefäßentwicklung (DiGeorge-, Turner-Syndrom)
- häufig mit angeborenen Herzfehlern kombiniert (Fallot-Tetralogie, Transposition der großen Gefäße)
- genetische Prädisposition möglich, insbesondere bei Vorliegen einer entsprechenden Anomalie bei Verwandten ersten Grades
Pathogenese
Eine aberrierende rechte Arteria subclavia kann zur Kompression der angrenzenden Strukturen führen.
- Kompression der Speiseröhre durch die Arterie → Dysphagie.
- Bei ausgeprägter Kompression der Luftröhre → respiratorische Symptome (Husten, Atemnot, Stridor).
- In seltenen Fällen kann es zu einer arteriellen Ringbildung kommen (insbesondere bei persistierendem rechten Aortenbogen und Ductus arteriosus).
- Aneurysmatische Erweiterung des aberrierenden Gefäßes (Kommerell-Divertikel) → Risiko einer Ruptur oder Thrombose.

Klassifikation
Entlang der Arterie in Bezug auf die Luftröhre und die Speiseröhre: | Hinter der Speiseröhre (85 % der Fälle) |
Tracheoösophageal | Zwischen der Luft- und der Speiseröhre (10–15 % der Fälle) |
Prätracheal | Vor der Luftröhre (weniger als 5 % der Fälle) |
Nach Vorliegen eines Aneurysmas an der Arterienmündung (Kommerell-Divertikel): Ohne Divertikel | Häufig asymptomatisch |
Mit Kommerell-Divertikel | Die Mündung der ARSA ist aneurysmatisch erweitert. Erhöhtes Risiko einer Ruptur, Thrombose, Dysphagie |
Nach Typ des Aortenbogens: Linksseitiger Aortenbogen | Normale Lage des Aortenbogens, die ARSA geht als letztes Gefäß ab (häufigste Form) |
Rechtsseitiger Aortenbogen | Die ARSA geht als erstes Gefäß ab → erhöhtes Risiko für einen Gefäßring |
Beidseitiger Aortenbogen | Die beiden Bögen bleiben erhalten und bilden einen arteriellen Ring |
Nach Vorliegen eines Gefäßrings: Ohne Ring | Häufiger asymptomatisch |
Partieller Ring | Bei Vorhandensein des Ductus arteriosus, aber ohne vollständige Schlinge (es können Symptome auftreten) |
Vollständiger arterieller Ring | Kombination mit persistierendem Ductus arteriosus und rechtem Bogen Luftröhren- und Speiseröhrenkompression, Indikation zur Operation |

Symptome
Bei den meisten erwachsenen Patienten mit ARSA treten keine Symptome auf. Die Symptomatik kommt bei Kindern häufiger vor, insbesondere bei kombinierten Anomalien.
Die wichtigsten Erscheinungsformen sind:
- Dysphagie (angestrengtes Schlucken, häufiger bei fester Nahrung) ist das Hauptsymptom bei Erwachsenen.
- Atemnot, Husten, Rasselgeräusche kommen bei Luftröhrenkompression vor.
- Rezidivierende Infektionen der Atemwege treten bei Kindern auf.
- Brustschmerzen, Heiserkeit, Horner-Syndrom entwickeln sich im Falle einer Kompression benachbarter neurovaskulärer Strukturen.
- Die Symptome können sich bei aneurysmatischer Gefäßerweiterung verstärken.
Diagnostik
Der diagnostische Ansatz hängt von dem Schweregrad der Symptome und dem Vorhandensein von Anomalien ab. Moderne Verfahren ermöglichen die Visualisierung der Fehlbildung mit hoher Genauigkeit.
- CT-Angiographie (Goldstandard). Visualisierung der Bogenanatomie, Nachweis von Anomalien, Beurteilung der Kompression.
- MR-Angiographie. Alternative zur CT-Angiographie bei Kontraindikationen für Jod.
- Ösophagus-Breischluck (Barium). Er wird bei Dysphagie angezeigt. Charakteristische Verformung der hinteren Speiseröhrenwand.
- Bronchoskopie. Bei respiratorischen Symptomen. Diagnostik der Luftröhrenkompression.
- Echokardiographie. Bewertung begleitender Herzfehler. Visualisierung der aberrierenden Arterie sowie Beurteilung des Blutflusses.
Behandlung der aberrierenden Arteria subclavia
Konservative Behandlung
- Ausschluss von Faktoren, die die Dysphagie verstärken (z. B. harte oder trockene Nahrung)
- Überwachung des Zustands durch bildgebende Verfahren bei asymptomatischem Verlauf
- Bei Vorliegen eines Speiseröhrenkrampfs oder einer Entzündung der Speiseröhre können folgende Medikamente eingesetzt werden:
- Prokinetika (eine hochgradige Obstruktion, z. B. ein Kommerell-Divertikel mit ausgeprägter Kompression, sollte vor der Verschreibung ausgeschlossen werden)
- Protonenpumpenhemmer (bei Vorliegen oder Verdacht auf begleitende gastroösophageale Refluxkrankheit oder Ösophagitis)
Chirurgische Behandlung
Indikationen:
- symptomatische Dysphagie oder Atemwegsobstruktion
- aneurysmatische Erweiterung in Form von Kommerell-Divertikel
- Kombination mit anderen korrekturbedürftigen Herzfehlern
Methoden:
Ligatur und Replantation der Arterie in die rechte Arteria carotis communis oder den Truncus brachiocephalicus (über einen supraklavikulären Zugang oder eine laterale Thorakotomie)
Resektion des Kommerell-Divertikels
- Entfernung des aneurysmatischen Segments, oft in Kombination mit einer Replantation der Arterie
- Vorzugsweise durch Thorakotomie
- Bei ausgeprägter Verkalkung/Thrombose des Kommerell-Divertikels bei älteren Menschen: Stentgraft oder Hybridverfahren bevorzugt
Hybridverfahren: Verwendung von Stentgrafts mit vorheriger Umschaltung der aberrierenden Arteria subclavia in die Arteria carotis
FAQ
1. Was ist eine aberrierende rechte Arteria subclavia?
2. Wie hoch ist die Inzidenz einer aberrierenden rechten Arteria subclavia?
3. Welche Symptome können bei einer aberrierenden rechten Arteria subclavia auftreten?
4. Wie wird die Diagnose bestätigt?
5. Ist eine aberrierende Arterie lebensbedrohlich?
6. Muss diese Anomalie immer operiert werden?
7. Lassen sich die Symptome ohne Operation beseitigen?
8. Was ist ein Kommerell-Divertikel?
9. Was sind die Folgen einer aberrierenden rechten Arteria subclavia beim Fötus?
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