Thrombophlebitis: Ätiologie, Pathogenese, Klassifikation, Diagnostik, Therapie
Inhaltsübersicht
Als Thrombophlebitis (auch oberflächliche Venenthrombose, kurz OVT genannt) bezeichnet man eine Entzündung der Venenwand mit Thrombusbildung, die am häufigsten die oberflächlichen Venen der unteren Extremitäten betrifft.
- Die Erkrankung kommt am häufigsten im Alter zwischen 60 und 70 Jahren vor.
- Frauen sind etwas häufiger betroffen, insbesondere bei Vorliegen von Varizen.

Ätiologie
Die Thrombophlebitis entwickelt sich im Zusammenhang mit einem Komplex von Faktoren, die der Virchow-Trias entsprechen.
- Verletzung der Venenwand (Hauptauslöser des entzündlich-thrombotischen Prozesses) durch:
- Katheterisierung und Injektionen (insbesondere der Armvenen): eine häufige Ursache für iatrogene Thrombophlebitis
- chirurgische Eingriffe (offene Operationen am Bein, nach Venenentfernung, Shuntanlage)
- Weichteilverletzungen, einschließlich Prellungen, Verbrennungen, Venenpunktionen
- Haut- und Weichteilinfektionen: septische Thrombophlebitis, oft in Verbindung mit Phlegmone, Abszess, Erysipel
- Venöse Stauung und Abflussstörungen
- Der häufigste Auslöser für die Entwicklung einer oberflächlichen Venenthrombose: Varizen der unteren Extremitäten
- Ruhigstellung (Bettruhe, lange Flüge, Gipsverbände)
- Herzinsuffizienz (insbesondere bei Dekompensation)
- Adipositas (sie führt zu vermindertem venösem Rückfluss und Blutstau in den unteren Extremitäten)
- Schwangerschaft und Wochenbett (Kompression der Beckenvenen und hormonelle Veränderungen)
- Hyperkoagulabilität (erhöhte Gerinnbarkeit des Blutes)
- Tumorerkrankungen
- Thrombophilie (Mangel an Antithrombin III, Protein C und S; Faktor-V-Leiden-Mutation; Antiphospholipid-Syndrom)
- Hormonelle Therapie: Östrogeneinnahme (orale Kontrazeptiva, Hormonersatztherapie)
- Systemische Entzündungs- und Autoimmunerkrankungen: systemischer Lupus erythematodes, entzündliche Vaskulitis
- COVID-19: Ursache für vorübergehende Hyperkoagulabilität und Thrombose, auch in den oberflächlichen Venen

Pathogenese
Verletzung des Endothels der Venenwand
Das geschädigte Endothel verliert seine antithrombotischen Eigenschaften, exprimiert Adhäsionsmoleküle (ICAM-1, VCAM-1), aktiviert Thrombozyten und Leukozyten und löst die Produktion von proinflammatorischen Zytokinen (IL-1β, TNF-α) aus.
Aktivierung der Gerinnungskaskade
Durch die Schädigung der Intima und die Aktivierung des Gewebefaktors wird die äußere Blutgerinnungskette ausgelöst:
- Aktivierung von Faktoren VIIa und X
- Umwandlung von Prothrombin in Thrombin
- Fibrinbildung und Stabilisierung des Thrombus
- gleichzeitige Thrombozytenaggregation zu einer „weißen“ Thrombozytenmatrix, insbesondere in Bereichen mit turbulenter Strömung
Die lokale Verlangsamung des Blutflusses verstärkt und erhält die lokale Thrombusbildung aufrecht:
- erhöhte Kontaktwechselwirkung von zellulären Bestandteilen des Bluts mit der Gefäßwand
- Erhöhung der Konzentration von Prokoagulantien
- verringertes „Abspülen“ von thrombogenen Molekülen
Entzündliche Infiltration der Venenwand (sterile Entzündung):
- Wanderung von Neutrophilen und Monozyten
- Sekretion von Metalloproteinasen, die die Zerstörung der Intima hervorrufen
- Produktion von IL-6, IL-8 und proinflammatorischen Mediatoren
- Fibrose und Verdickung der Venenwand mit Chronifizierung
- eventuell eitriger Verlauf bei Sekundärinfektion (septische Thrombophlebitis)
Organisation oder Embolisation des Thrombus
Die weitere Entwicklung kann nach zwei Szenarien erfolgen:
- Organisation: Der Thrombus wird von Fibroblasten infiltriert, wird von Endothel bedeckt und verwandelt sich in einen narbigen Faserstrang. Dies trägt zur Verödung des Venenlumens und zur Chronifizierung des Prozesses bei.
- Embolisation: Wenn der Thrombus instabil ist und sich in das tiefe Venensystem ausbreitet, ist seine Fragmentierung und Wanderung mit der Entwicklung einer Thromboembolie möglich.

WICHTIG! Obwohl sich die Thrombophlebitis auf die epifaszialen Venen bezieht und als „unbedeutend“ angesehen wird, kann sie, wenn eine Vene neben dem saphenofemoralen bzw. der saphenopoplitealen Übergang betroffen ist, in das tiefe Venensystem übergehen. Aus diesem Grund sollte auch eine „oberflächliche“ Entzündung als potenziell thromboembolisch angesehen werden.
Klassifikation der Thrombophlebitis
Nach Lokalisation:
- oberflächliche Venenthrombose: Verletzung der epifaszialen Venen, am häufigsten der V. saphena magna des Beins
- tiefe Venenthrombose: Mitbeteiligung der tiefen Venen, erhöhtes Risiko einer Thromboembolie
Nach Verlauf:
- akut: plötzlicher Ausbruch, ausgeprägte Symptome
- chronisch: längerer Verlauf mit Exazerbationen
Nach Vorliegen von Infektionen:
- aseptisch: ohne Infektion
- septisch: mit Infektion


Symptome
Das klinische Bild der Thrombophlebitis hängt von der Lokalisation, der Ausdehnung des Entzündungsprozesses, der Tiefe der betroffenen Venen und dem Auftreten von Komplikationen ab. Am häufigsten kommt die akute oberflächliche Venenthrombose der epifaszialen Venen der unteren Extremitäten vor, aber die Symptome können variieren.
1. Allgemeine Symptome einer akuten Thrombophlebitis
- Schmerzen in der Projektion der betroffenen Vene: nagend oder brennend, verstärkt bei Palpation oder Bewegung
- Verdickung entlang des Venenverlaufs: in Form eines schmerzhaften und unbeweglichen Strangs tastbar
- Hautrötung: über dem entzündeten Bereich, oft linear, entlang des Venenverlaufs
- Lokale Erhöhung der Hauttemperatur
- Gewebeödeme: mäßig, lokalisiert
- Einschränkung der Beweglichkeit der Extremität: bei großflächiger Betroffenheit
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2. Besonderheiten des Verlaufs einer tiefen Venenthrombose
Wenn sich der Prozess auf die tiefen Venen ausbreitet, sind stärker ausgeprägte Manifestationen möglich:
- diffuses Ödem der gesamten Extremität, oft asymmetrisch
- Zyanose oder Marmorierung der Haut
- intensive Schmerzen in der Wade oder im Oberschenkel beim Gehen oder Drücken (Homans-Zeichen)
- Spannungs- und Schweregefühl im Bein
- Die tiefe Venenthrombose tritt oft ohne ausgeprägte Hinweise auf eine Hautentzündung auf, was sie von den oberflächlichen Formen unterscheidet.
3. Lokalisation und Besonderheiten der Symptome
- Die Venen der unteren Extremitäten sind die häufigste Lokalisation. Die klinischen Manifestationen sind in der Regel klassisch.
- Die Venen der oberen Extremitäten sind oft mit einer Katheterisierung verbunden; lokale Schmerzen und Verdickungen, möglicherweise rasche Verbesserung nach Entfernung des Katheters.
- Die Betroffenheit der Thorax- und Halsvenen (z. B. Paget-Schroetter-Syndrom oder Thrombophlebitis der V. cava superior) geht mit Armschwellung, Zyanose und vermehrter Venenzeichnung einher.
- Die Perianal- und Schamvenen werden bei bestimmten entzündlichen Erkrankungen wie Behçet-Krankheit oder Thrombophlebitis der Penisvenen betroffen.
4. Komplikationen
- Ausbreitung des Thrombus in die tiefen Venen: zunehmende Schwellung, steigende Schmerzen, Verschwinden der eindeutigen Lokalisation der Symptome
- Pulmonale Thromboembolie (Lungenembolie, LE): plötzliche Atemnot, Tachykardie, Brustschmerzen, Ohnmacht
- Septische Thrombophlebitis: Fieber, Schüttelfrost, eitriger Ausfluss an der Katheterstelle, Anzeichen einer systemischen Infektion
Diagnostik der Thrombophlebitis
Untersuchung (siehe Abschnitt „Symptome“)
Die Duplex-Sonographie der Venen gilt als Goldstandard der Diagnostik. Dabei werden folgende Aspekte beurteilt:
- Vorliegen eines Thrombus im Venenlumen (echogene Struktur)
- Verlust der Kompression (die Vene kollabiert beim Drücken mit dem Schallkopf nicht)
- Fehlen oder Störung der venösen Durchblutung laut Doppler-Sonographie
- Dicke und Hyperechogenität der Venenwand
- Ausbreitung des Thrombus auf die tiefen Venen oder Übergänge (saphenofemoral, saphenopopliteal)
In komplizierten oder ungewöhnlichen Fällen wird eine CT- oder MR-Venographie durchgeführt:
- Becken-, Hals- und Thorax-Thrombophlebitis
- Verdacht auf eine durch Ultraschall nicht nachgewiesene Thrombose
- Kompression der Venen von außen (Tumoren, Lymphknoten)
Laboruntersuchungen
- Es kann zu einem Anstieg von Leukozyten, BSG und C-reaktivem Protein kommen.
- Der D-Dimer-Wert kann mäßig erhöht sein, insbesondere wenn tiefe Venen betroffen sind.
Wichtig: Ein normaler D-Dimer-Wert schließt eine Thrombophlebitis nicht aus, aber ein erhöhter D-Dimer-Wert ist ein Grund zum Ausschluss einer tiefen Venenthrombose und Lungenembolie.
- Koagulogramm (aPTT, PTZ, INR)
- Klinische Chemie (Kreatinin: vor der Verordnung von niedermolekularen Heparinen und Fondaparinux; Leberwerte: im Falle einer langfristigen gerinnungshemmenden Therapie)
- Ein Thrombophilie-Screening wird durchgeführt, wenn:
- rezidivierende Thrombophlebitis ohne offensichtliche Ursache
- thrombotische Komplikationen in der Familienanamnese
- Thrombose mit ungewöhnlicher Lokalisation (Hals, obere Extremitäten, Gehirn)
- Es werden folgende Parameter untersucht: Protein C und S; Antithrombin III; Mutationen: Faktor-V-Leiden-Mutation, Prothrombinmutation G20210A; Antiphospholipid-Antikörper (Antikörper gegen β2-Glykoprotein, Cardiolipin, Lupus-Antikoagulans).
Behandlung der Thrombophlebitis
Änderung von Risikofaktoren
- Rauchstopp
- Gewichtskontrolle
- Körperliche Aktivität
- Vermeiden von langem Stehen/Sitzen
- Kontrolle von Diabetes mellitus, Hyperlipidämie und Blutdruck
- Kompressionsstrümpfe (Klasse II): insbesondere bei Varizen, nach einem akuten Schub
Medikamentöse Therapie
Eine gerinnungshemmende Therapie wird nicht nur bei der tiefen Venenthrombose, sondern auch bei der oberflächlichen Thrombophlebitis eingesetzt, wenn diese ein erhöhtes Risiko aufweist oder einen komplizierten Verlauf hat.
Indikationen:
- Länge des Thrombus ≥ 5 cm
- Lokalisation näher als 3 cm zum saphenofemoralen oder saphenopoplitealen Übergang
- starke Schmerzen und Entzündung
- Risikofaktoren einer tiefen Venenthrombose/Lungenembolie (Tumoren, kürzliche Operation, Schwangerschaft, Thrombophilie)
Empfohlene Arzneimittel:
- Fondaparinux 2,5 mg/Tag subkutan, 45 Tage lang
- niedermolekulare Heparine (z. B. Enoxaparin)
- Rivaroxaban: Off-Label-Use, aber akzeptabel, wenn keine Injektionen durchgeführt werden können
Nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) werden allen Patienten mit akuten Entzündungen verschrieben, insbesondere bei Schmerzen und Schwellungen.
- Ibuprofen, Nimesulid, Meloxicam, Ketoprofen
- Dauer: 7–10 Tage (bis zum Abklingen der Entzündung)
Antibiotika werden nur bei Verdacht auf eine infektiöse (septische) Thrombophlebitis verschrieben.
- Antibiotika der Wahl: Amoxicillin/Clavulansäure, Cefazolin, Ceftriaxon. Bei MRSA: Vancomycin, Linezolid
Chirurgische Behandlung
Indikationen:
- Ausbreitung des Thrombus zur Mündung der epifaszialen Vene
- hohes Thromboembolierisiko und Unmöglichkeit der Antikoagulation
- septische Thrombophlebitis
- Unwirksamkeit der medikamentösen Behandlung
- wiederholte Episoden im Zusammenhang mit Varizen
Methoden:
- Ligatur der betroffenen Vene (häufiger der Mündung der V. saphena magna)
- Thrombektomie: selten, bei Unwirksamkeit anderer Behandlungsmethoden
- kombinierte Venenentfernung (Entfernung von Krampfadern): nach Abklingen des akuten Prozesses eingesetzt
FAQ
1. Was ist eine Thrombophlebitis und was unterscheidet sie von einer Thrombose (Phlebothrombose)?
2. Ist eine oberflächliche Thrombophlebitis gefährlich?
3. Muss eine Thrombophlebitis behandelt werden, wenn sie keine Beschwerden bereitet?
4. Wie wird eine Thrombophlebitis behandelt?
5. Welche Anzeichen deuten darauf hin, dass die Thrombophlebitis kompliziert wird?
6. Darf man bei einer Thrombophlebitis das Bein erwärmen?
7. Können Varizen zu einer Thrombophlebitis führen?
8. Welche Untersuchung bestätigt das Vorliegen einer Thrombophlebitis?
9. Wann ist eine chirurgische Behandlung der Thrombophlebitis erforderlich?
10. Wie lässt sich das Risiko einer erneuten Thrombophlebitis verringern?
Quellenverzeichnis
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