Infektiöse Endokarditis: Ätiologie, Pathogenese, Klassifikation, Diagnostik, Behandlungsmethoden
Inhaltsübersicht
Die infektiöse Endokarditis ist eine potenziell lebensbedrohliche Erkrankung, bei der eine mikrobielle Invasion zur Entzündung des Endokards führt, insbesondere des Klappenapparats des Herzens. Trotz der Entwicklung antibakterieller Therapien und moderner Bildgebungsverfahren bleibt die Sterblichkeitsrate im Verhältnis zur Gesamtzahl der Erkrankten hoch.
Epidemiologie
Die Inzidenz der infektiösen Endokarditis liegt zwischen 3 und 15 Fällen pro 100.000 Einwohner jährlich. Die Häufigkeit der Erkrankung steigt mit dem Alter, wobei sie bei den über 60-Jährigen ihren Höhepunkt erreicht. Dies ist auf die Zunahme von Risikofaktoren wie Herzklappenprothesen, Herzimplantate, chronische Krankheiten und häufige medizinische Eingriffe zurückzuführen. Männer sind etwa doppelt so häufig betroffen.
In den letzten Jahrzehnten hat sich das epidemiologische Profil verschoben: Statt rheumatischer Herzerkrankungen und intravenöser Drogenkonsumenten überwiegen nun ältere Patienten, oft mit implantierten Herzklappen, Prothesen und Herzschrittmachern.
Ätiologie
Eine Vielzahl von Erregern kann die Ursache für IE sein, darunter:
- Staphylococcus aureus ist der häufigste Erreger, vor allem bei im Krankenhaus erworbenen Infektionen und bei Drogenabhängigen.
- Viridans streptococci sind die klassischen Erreger im Falle von nativen Klappenläsionen bei Patienten ohne offensichtliche Risikofaktoren.
- Enterococcus spp. sind bei älteren Patienten signifikant, oft in Verbindung mit urogenitalen Eingriffen.
- Koagulase-negative Staphylokokken (KNS) sind häufige Erreger bei Infektionen von Klappenprothesen.
- Seltener sind es die HACEK-Gruppe, Pilze, gramnegative Bazillen usw.
Zu den Risikofaktoren gehören künstliche Herzklappen, Herzschrittmacher, frühere Herzinfarkte, Herzfehler, intravenöser Drogenkonsum und chronische Hämodialyse.
Pathogenese
Die Pathogenese der infektiösen Endokarditis umfasst mehrere aufeinanderfolgende Glieder:
- Schädigung des Klappenendothels (z. B. durch turbulenten Blutfluss) → Freilegung der extrazellulären Matrix.
- Adhäsion von Thrombozyten und Fibrin → Bildung eines sterilen Thrombus (nichtbakterielle thrombotische Endokarditis).
- Mikrobielle Invasion: Bei transitorischer Bakteriämie besiedeln Mikroorganismen das Gerinnsel.
- Entstehung von Vegetationen — dichten Ansammlungen von Fibrin, Entzündungszellen und Bakterien, die vor der Immunantwort und Antibiotika geschützt sind.
- Zerstörung der Klappenstrukturen und mögliche Embolisierung → systemische Komplikationen, Sepsis, akute Herzinsuffizienz. Immunmechanismen tragen auch zur Entwicklung von Komplikationen wie Vaskulitis und Glomerulonephritis bei.
Entscheidend ist die Bildung von Vegetationen, die die Aufrechterhaltung der Infektion und embolische Komplikationen begünstigen.


Klassifikation der infektiösen Endokarditis
Nach Lokalisation des Prozesses: Linksseitige Endokarditis | Läsion der Mitral- und/oder Aortenklappe (die häufigste Variante) |
Rechtsseitige Endokarditis | Schädigung der Trikuspidalklappe und/oder (seltener) der Pulmonalklappe (häufiger bei injizierenden Drogenkonsumenten, Patienten mit ZVK) |
Kombiniert (Pankarditis) | Gleichzeitige Läsion links und rechts |
Prothesenendokarditis (Prosthetic Valve Endocarditis, kurz PVE) | Entzündung an der künstlichen (mechanischen oder biologischen) Herzklappe |
Device-assoziierte Endokarditis | Infektionen im Zusammenhang mit Herzschrittmachern, ihren Elektroden etc. |
Nach Ätiologie (Erreger): Grampositive Kokken | Staphylococcus aureus, koagulase-negative Staphylokokken, Streptococcus viridans, Enterococcus spp. |
Gramnegative Bakterien | HACEK-Gruppe, andere Enterobakterien |
Atypische/obligat intrazelluläre Bakterien | Coxiella burnetii, Bartonella spp., Tropheryma whipplei |
Pilze | Candida spp., Aspergillus spp. (selten, eher bei immunkompromittierten Patienten) |
Nach klinischem Verlauf: Akut | Plötzlicher Krankheitsausbruch Verlauf: schnell, aggressiv Häufigere Pathogene: Staphylococcus aureus, β-hämolysierende Streptokokken Besonderheiten: schnelle Klappenzerstörung, Sepsis, hohe Sterberate |
Subakut | Allmählicher Krankheitsausbruch (Wochen) Verlauf: schleichend, mit unklarer Symptomatik Häufigere Pathogene: Streptococcus viridans, Enterococcus spp. Besonderheiten: Anämie, subfebrile Körpertemperaturen, Immunerscheinungen |
Chronisch | Krankheitsausbruch: lang (Monate) Verlauf: latent oder rezidivierend Häufigere Pathogene: Bakterien mit geringer Virulenz, kultur-negative Formen Besonderheiten: lang anhaltende Entzündung, dauerhafte Veränderungen an den Klappen, ein Rezidiv nach der Therapie ist möglich |
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Symptome
Die Symptomatik der IE ist unterschiedlich und reicht von unspezifisch bis lebensbedrohlich:
- Allgemeinerscheinungen der infektiösen Endokarditis: Fieber, Schwitzen, Müdigkeit, Gewichtsverlust.
- Symptomatik seitens des Herzens: ein neues bzw. verändertes Herzgeräusch, Zeichen einer Herzinsuffizienz.
- Embolische Komplikationen: Schlaganfall, Ischämie der Extremitäten, Infarkte der inneren Organe.
- Immunerscheinungen: Purpura, Osler-Knötchen, Janeway-Läsionen, Glomerulonephritis.
- Erregungsleitungsstörungen: Block, Arrhythmie.
- Bei schwerem Verlauf kann es zu septischem Schock und Multiorganversagen kommen.
- Bei einer Prothesenendokarditis können die Auskultationsgeräusche weniger ausgeprägt sein, und es kommt häufiger zu periannulären Infektionen (Abszesse, Pseudoaneurysmen, Fisteln).
Diagnostik der infektiösen Endokarditis
Labordiagnostik
- Großes Blutbild: normozytäre Anämie, Leukozytose, Thrombozytopenie
- BSG, CRP: signifikant erhöht
- Procalcitonin: gelegentlich mäßig erhöht
- Nierenbefund: Kreatinin-Erhöhung (Glomerulonephritis, Embolie)
- Blutkulturen: ≥ 3 Proben im Abstand von ≥ 30 Minuten vor Beginn einer antibiotischen Therapie (bis zu 95% Empfindlichkeit)
- Serologischer Test/PCR: bei kultur-negativen IE (Bartonella, Coxiella, Brucella usw.)
Instrumentelle Untersuchungsmethoden
- Echokardiographie (TEE ist der TTE vorzuziehen): Vegetationen, Abszesse, Pseudoaneurysmen, Perforationen, Protheseninsuffizienz. TTE-Sensibilität > 90%.
- CT: Ermöglicht den Nachweis von Abszessen, Pseudoaneurysmen, Embolien und Komplikationen der infektiösen Endokarditis.
- PET/CT: Erkennt Bereiche mit aktiver Entzündung und Infektion; besonders wertvoll bei Prothesenendokarditis und implantierten Geräten.
- Gehirn-MRT: Zeigt oft multiple Embolien, auch wenn keine neurologischen Symptome vorliegen
Duke-Kriterien
Ein international anerkanntes Diagnostikschema für infektiöse Endokarditis (IE), das klinische, mikrobiologische und bildgebende Befunde integriert.
Wahrscheinlichkeit von IE:
- Definitiv: 2 Hauptkriterien ODER 1 Hauptkriterium + 3 Nebenkriterien ODER 5 Nebenkriterien
- Wahrscheinlich: 1 Hauptkriterium ODER 1–2 Nebenkriterien ODER 3 Nebenkriterien
- Ausgeschlossen: alternative Diagnose, kein Nachweis bei der Autopsie oder vollständiges Verschwinden der Symptome ohne Behandlung
Hauptkriterien (Major criteria)
- Positiver Blutkultur-Nachweis (eine der folgenden Varianten):
- ≥ 2 positive Blutkulturen von typischen Mikroorganismen (z. B. S. aureus, Streptococcus viridans, Enterococcus spp.) aus mindestens zwei getrennten Proben
- Anhaltend positive Blutkultur: ≥ 2 positive Proben im Abstand von ≥ 12 Stunden
- ≥ 3 von 4 positiven Blutkulturen, innerhalb von 1 Stunde entnommen
- Nachweis einer endokardialen Beteiligung:
- Positiver Echo-Befund (TEE oder TTE): Vegetation, Abszess, Pseudoaneurysma, Perforation
- Ein neues Auftreten von Klappenfehler (Insuffizienz)
- Alternativ (ESC 2023):
- Positives PET/CT bzw. SPECT bei Verdacht auf eine Prothesen-IE
- Positive Kultur aus intraoperativem Klappenmaterial
Nebenkriterien (Minor criteria)
- prädisponierende Herzerkrankung oder intravenöser Drogenabusus
- Fieber ≥ 38,0°C
- Gefäßbefunde: Embolien, Infarkte, Hämorrhagien, Janeway-Läsionen
- Immunologische Phänomene: Osler-Knötchen, Roth-Flecken, Glomerulonephritis, Rheumafaktor
- Mikrobiologische Befunde, die die Hauptkriterien nicht erfüllen: eine einmalige positive Blutkultur oder ein serologischer Nachweis einer für IE typischen Infektion
Therapie der infektiösen Endokarditis
Änderung von Risikofaktoren
- Entfernung/Ersatz infizierter Geräte und Katheter
- Behandlung von Infektionsherden (Zähne, Haut)
- Vermeidung unnötiger invasiver Eingriffe
Medikamentöse Therapie
Ansätze:
- Hochdosierte bakterizide Antibiotika
- Langzeittherapie (i.d.R. 4 bis 6 Wochen)
- MHK (minimale Hemmkonzentration) berücksichtigen
- Individuelles Vorgehen bei Prothesen, Abszessen und resistenten Stämmen
Beispiele für Behandlungsschemas (nach ESC 2023):
- Staph. aureus (methicillinempfindlich): Oxacillin/Naphcillin + Gentamicin (erste Woche) ± Rifampicin (bei Prothesen-assoziierter Endokarditis)
- Staph. aureus (MRSA): Vancomycin ± Rifampicin
- Streptococcus spp.: Penicillin G oder Ceftriaxon ± Gentamicin
- Enterococcus spp.: Ampicillin + Gentamicin oder + Ceftriaxon (wenn HLR gegenüber Gentamicin).
Chirurgische Behandlung
Indikationen:
- Herzinsuffizienz aufgrund einer Klappenfunktionsstörung (akute schwere Klappenregurgitation)
- Unkontrollierbare Infektion (Abszess, Perforation, Pseudoaneurysma, anhaltende Bakteriämie über 7 Tage trotz angemessener Antibiotikatherapie)
- Erneute Embolien oder große Vegetationen mit Embolieepisode (> 10 mm), Vegetationen > 15 mm, insbesondere bei linksseitiger IE auch ohne Embolie
- Prothesenendokarditis
- Mykotische IE oder durch hochresistente Mikroorganismen verursacht.
Kontraindikationen:
- Dekompensierter Allgemeinzustand, Multiorganversagen
- Kürzlich aufgetretener massiver Schlaganfall mit hämorrhagischer Komponente
Arten von Operationen (in der überwiegenden Mehrzahl unter Verwendung einer Herz-Lungen-Maschine):
- Herzklappenersatz (Prothetik)
- Entfernung von Vegetationen und Abszessen
- Rekonstruktive Eingriffe (Klappe, Klappenring, Aortenwurzel): Wenn die Aortenwurzel betroffen ist, kann ein Ersatz durch ein Conduit (künstliche Gefäßprothese mit künstlicher Klappe) oder ein Allograft (menschliche Spenderklappe mit einem Abschnitt der aufsteigenden Aorta) erforderlich sein.
- Entfernung infizierter Geräte (Wenn Elektroden oder Herzschrittmacher betroffen sind: obligatorische Entfernung des gesamten Systems. Bei TAVI-Endokarditis: Eine Operation ist oft mit einer hohen Sterblichkeit verbunden, ist aber im Falle einer unwirksamen Therapie angezeigt.
FAQ
1. Was ist eine infektiöse Endokarditis?
2. Was sind die typischen Symptome einer IE?
3. Welche Bakterien sind die häufigsten Erreger von IE?
4. Was sind die Gefahren einer infektiösen Endokarditis?
5. Kann IE ohne Operation geheilt werden?
6. Wann ist ein chirurgischer Eingriff bei IE notwendig?
• Herzinsuffizienz aufgrund von Klappenfehlfunktionen
• Abszessen, Rupturen, Perforationen
• unwirksamer Antibiotika-Therapie
• pilzbedingter Infektion
• rezidivierender Embolie
7. Wie lange dauert die antibiotische Therapie?
8. Kann eine infektiöse Endokarditis verhindert werden?
9. Wer hat ein erhöhtes Risiko für IE?
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